Migration: Mittelkürzung bedroht gewachsene Strukturen

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Simon Oschwald
Simon Oschwald

Leitung Migration

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Augsburg (pm). Der Entwurf des Bundeshaushalts 2024 sieht massive Kürzungen bei den Jugendmigrationsdiensten (JMD) und der Migrationsberatung für Erwachsene (MBE) vor. Auf mögliche Folgen haben die Träger bei einem Aktionstag hingewiesen.

 

Der Aktionstag war eine gemeinsame Veranstaltung der Diakonien Augsburg sowie München und Oberbayern (Träger des JMD Landsberg), der Kolping Bildungs-gGmbH Augsburg, des Caritasverbandes für die Diözese Augsburg e.V., des Bayerische Roten Kreuzes Augsburg, der Gesellschaft zur Förderung beruflicher und sozialer Integration (gfi) und der Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule. Eingeladen waren dazu ins Café Tür an Tür Politiker:innen, allen voran die Bundestagsabgeordneten Ulrike Bahr (SPD) als Vertreterin der Regierungskoalition und Volker Ullrich (CSU). Die Grünen waren mit Cemal Bozoğlu, MdL vertreten, die FPD durch ihren Augsburger Kreisvorsitzenden Ralf Neugschwender.

Er könne die angekündigten Kürzungen in „zentralen Arbeitsfeldern, die eindeutig positiv mithelfen, dass Integration in unserem Land gelingt“, nicht nachvollziehen, sagte Pfarrer Fritz Graßmann, Theologischer Vorstand der Diakonie Augsburg, der stellvertretend für die betroffenen Träger sprach. Bei allem Verständnis für die aktuell angespannte Haushaltslage prophezeite er: „Wenn jetzt bei den niedrigschwelligen Hilfen gekürzt wird, werden die Folgekosten um ein Vielfaches höher sein.“ Denn es kämen ja weiter Menschen zu uns, durch die Mittelkürzungen werde die Zahl der schlecht integrierten Zugewanderten steigen: „Und mit ihnen werden die Probleme zunehmen“, so Graßmann.

Ulrike Bahr äußerte Verständnis für die Situation der Träger: „Bei mir rennen Sie mit Ihrem Anliegen offene Türen ein“, so die SPD-Politikerin. „Wir dürfen die Strukturen nicht einreißen, die wir aufgebaut haben.“ Auf die Frage, ob noch eine realistische Hoffnung bestehe, dass die Kürzungen zurückgenommen oder zumindest weniger drastisch ausfallen würden als angekündigt, sagte Bahr: „Es schaut schwierig aus.“ Volker Ullrich erklärte, dass aus seiner Sicht „der gesellschaftliche Mehrwert“ der betroffenen Projekte „größer als der Haushaltsposten“ sei.

Bei einem so genannten „gallery walk“ präsentierten die Respekt Coaches und die Bildungsberatung Garantiefonds Hochschule, deren Programme beide laut Haushaltsentwurf komplett gestrichen werden sollen, sowie JMD und MBE ihre Arbeit. Diese trägt z.B. zur Verminderung von Transferleistungsbezug bei oder erhöht die Bildungschancen junger zugewanderter Menschen. „Jede junge Zugewanderte, die auf dem Weg in unser Bildungssystem durch unsere Mitarbeiter:innen kompetent beraten und unterstützt und auf dem Weg in Ausbildung und Beruf begleitet wird, ist ein Gewinn für unsere Gesellschaft“, unterstrich Verena Keilberth, Landesreferentin für Jugendmigrationsarbeit bei der Evangelischen Jugendsozialarbeit Bayern. Durch die Kürzungen nehme der Druck auf noch bestehende Stellen zu bei gleichzeitig steigendem Beratungsbedarf. Schon jetzt verwenden z.B. Carina Dannowski und Manfred Hörr vom Jugendmigrationsdienst der Diakonie Augsburg einen großen Teil ihrer Arbeitszeit darauf, Klient:innen beim Ausfüllen von Formularen zu helfen oder Telefonate mit Behörden zu führen, um einen Kontakt herzustellen. Mehrere Trägervertreter:innen sagten zudem eine steigende Arbeitsbelastung der Behörden und Regeldienste voraus. Theresa Gökden, in der Landesgeschäftsstelle des Bayerischen Roten Kreuzes (BRK) Ansprechpartnerin für den  Bereich Pflege & Soziales, Migration und Teilhabe, plädierte dafür, ein „Recht auf Beratung“ zu etablieren, um den Trägern eine längerfristige Planung zu ermöglichen. Auch Simon Oschwald, Leiter des Fachbereichs Migration bei der Diakonie Augsburg, beschrieb das Dilemma, in dem die Migrationsarbeit aus seiner Sicht seit Jahren steckt: „Es gibt keine stabilen Strukturen.“ In Krisen wie der Flüchtlingskrise 2015 oder beim Ausbruch des Ukrainekriegs erkenne jede:r die Bedeutung der Angebote für Geflüchtete und Migrant:innen. Dabei sei der „Markenkern“ der Arbeit ein anderer, nämlich die Begleitung auf „der langen Strecke“, wenn das Interesse der Öffentlichkeit an den Geflüchteten nachlasse, deren Lebenssituation aber komplexer würde. Durch zeitlich begrenzte Förderungen und befristete Verträge für Mitarbeiter:innen ginge immer wieder Fachwissen verloren, das mühsam wieder aufgebaut werden müsse. Dabei arbeiteten in diesem Bereich „tolle Leute mit Herzblut“, so Oschwald. Auch die Schlange der wartenden Menschen vor dem Zentrum für interkulturelle Beratung (zib) neben dem Café Tür an Tür unterstrich an diesem Tag anschaulich den Beratungsbedarf. Mehrere Vertreter:innen der anwesenden Träger wiesen darauf hin, dass die Folgen der massiven Kürzungen nicht nur für die Zugewanderten selbst, sondern für die Gesellschaft insgesamt spürbar sein würden: Sowohl JMD als auch MBE leisteten mit ihrer Arbeit einen wichtigen Beitrag zum gesellschaftlichen Zusammenhalt, besonders auch in ländlichen Gegenden und migrationsskeptischen Milieus.

Info: Um die Abschaffung des Programms Respekt Coaches zu stoppen, läuft eine Petition: https://www.openpetition.de/petition/online/keine-abstriche-bei-der-demokratie-erhalt-des-politischen-bildungsprogramms-respekt-coaches

Gegen die Kürzungen bei den JMD richtet sich folgende Petition: https://weact.campact.de/petitions/rette-unsere-jugend-rette-die-jugendmigrationsdienste

Unter dem Motto „Rettet den GF-H!“ hat auch der Garantiefonds Hochschule eine Petition gestartet: https://bildungsberatung-gfh.de/wde/aktuelles/meldungen/Rettet-den-GF-H.php

Bildunterschrift: Respekt Coach Cansu Rhmiza (rechts) und ihre Kollegin Aferdita Shabani (links) erklären Ulrike Bahr, MdB wie ein Respekt Coaching in der Schule abläuft. Foto: DWA/Diana Riske