Augsburg (pm). Die Jugendhilfe macht an der Schule zwei Angebote, die sich an Schüler:innen, deren Eltern und Lehrkräfte richten. Bei beiden kooperieren Stadt, Diakonie und Schule miteinander.
Ein Mädchen bekommt als ältestes von vielen Geschwistern zuhause nicht genug Aufmerksamkeit und hat Redebedarf. Ihr Lehrer vermittelt sie an die sozialpädagogische Beratung bei psychischer Belastung. Ein Junge hat Schulschwierigkeiten. Zum Gespräch mit den Eltern lädt der Klassenlehrer die Fachkraft mit ein. Es stellt sich heraus, dass der Sohn sich zwischen den getrennt lebenden Elternteilen hin- und hergerissen fühlt und sich daher nicht auf den Unterricht konzentrieren kann. Zwei Beispiele aus der Arbeit von Iris Wehle, die seit zwei Jahren sozialpädagogische Beratung bei psychischen Belastungen (SpB) am Holbein-Gymnasium anbietet. In ihre offene Sprechstunde an zwei Vormittagen in der Woche kommen Schüler:innen, Eltern und Lehrkräfte: „Die Zusammenarbeit mit den Lehrer:innen ist richtig gut.“ Viele seien aufmerksam dafür, wenn Schüler:innen Unterstützung bräuchten, hätten aber keine Kapazitäten, diese selbst zu leisten. Um das Angebot an der Schule bekannt zu machen, stellt sich die Diplom-Sozialpädagogin (FH) in den Klassen und auf Elternabenden vor.
Den Anstieg psychischer Belastungen bei Schüler:innen hatte die Schule bereits lange vor der Coronapandemie erkannt und daher ein Beratungsangebot geschaffen, das niedrigschwellig, schnell und unbürokratisch erreichbar im direkten Lebensumfeld angesiedelt ist. Viele Schüler:innen litten während der Pandemie unter Vereinsamung oder verpassten den schulischen Anschluss; andere nach der Rückkehr in die Schule Angst vor Krankheiten oder davor, sich wieder ohne Maske zu zeigen. „Die psychischen Belastungen haben in dieser Zeit zugenommen“, fasst Iris Wehle zusammen.
Ursprünglich hatte der Freundeskreis des Holbein-Gymnasiums in Kooperation mit der Erziehungsberatungsstelle der Diakonie ein Beratungsangebot finanziert. Dieses wurde zum 1.9.2015 von der Stadt Augsburg in SaS (Sozialpädagogische Hilfen an Schulen) umgewandelt und von zwei Mitarbeiterinnen der Diakonie – davon eine aus der Erziehungsberatungsstelle – umgesetzt.
„Gemeinsam neue Wege finden“ – unter diesem Titel bietet Diakoniemitarbeiterin und Diplom-Pädagogin (Univ.) Zelma Melzner am Holbein-Gymnasium bereits seit 2016 SaS im Auftrag des Amtes für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Augsburg an. SaS hat ebenso wie die SpB das Ziel, Kinder und Jugendliche individuell bei Schwierigkeiten in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu fördern und zu unterstützen. Die SaS-Statistik für 2017 und 2018 unterstrich die zusätzliche Notwendigkeit an Beratung im psychologisch-therapeutischen Bereich. 2019 entstand das Projekt SpB als Reaktion auf die gestiegenen Bedarfe durch psychische Belastungen der Schüler:innen. SpB wird von der Mitarbeiterin der Erziehungsberatungsstelle mit ihrem Stundenanteil umgesetzt. Angegliedert ist das Angebot bei der Diakonie an die Evangelische Beratungsstelle, wo Iris Wehle neben ihrer Tätigkeit an der Schule beschäftigt ist: „Viele wissen gar nicht, dass wir Jugendberatung machen.“ Auch für Eltern mit Fragen zu Erziehungsthemen oder Elternpaare, die sich trennen wollen, ist die Evangelische Beratungsstelle der richtige Anlaufpunkt.
Krisenhafte Situationen sind für Schüler:innen z.B. der Übergang aufs Gymnasium. „Viele müssen ihre Rolle neu finden“, sagt Iris Wehle. Manche hätten anfangs auch einfach Orientierungsprobleme, ergänzt Zelma Melzner: „Die kommen von einer Grundschule mit 400 oder 500 Schüler:innen, hier gibt es 1.200.“ In den höheren Jahrgangsstufen gehe es häufig um Lernstress und Prüfungsangst. Egal ob 5. Klasse oder Oberstufe – die Beratungsangebote würden sehr gut angenommen. Neben der Einzelfallberatung machen beide Gruppenprojekte in den Klassen, etwa um den Selbstwert der Schüler:innen zu stärken oder deren Resilienz zu fördern. Sowohl Wehle als auch Melzner betrachten sich als Teil eines Beratungsteams, zu dem auch Schulpsychologin Carolin Bilberger und Beratungslehrer Dr. Andreas Müller gehören. Die Diakoniemitarbeiterinnen sehen es als Vorteil an, als externe Fachkräfte an der Schule tätig zu sein. Wenn z.B. eine Schülerin nicht möchte, dass Lehrer:innen oder Mitschüler:innen mitbekommen, dass sie Beratung in Anspruch nimmt, kann das Gespräch auch nach Schulschluss in der Evangelischen Beratungsstelle stattfinden. Manchmal hätten auch Eltern Scheu, in die Beratung zu kommen, weil sie Nachteile für ihre Kinder befürchteten wie z.B. schlechtere Noten. Die sozialpädagogische Beratung soll daher auch dazu beitragen, Wissen über psychische Erkrankungen zu vermitteln und diese zu entstigmatisieren.
Info: Die sozialpädagogische Beratung bei psychischer Belastung (SpB) am Holbein-Gymnasium ist das einzige Kooperationsprojekt dieser Art in Augsburg. SaS wird aktuell an sechs Gymnasien im Stadtgebiet angeboten, darüber hinaus auch an anderen weiterführenden Schulen wie z.B. Realschulen.
Beide Angebote sind für die Klient:innen freiwillig und kostenlos. Die Beraterinnen unterliegen der Schweigepflicht, sofern nicht die Gefahr von selbst- oder fremdverletzendem Verhalten besteht.