Augsburg (pm). Diakoniemitarbeiterin Silke Vollhase begleitet queere Geflüchtete und bereitet sie auf die Anhörung beim Bundesamt für Asyl und Flüchtlinge (BAMF) vor. Eine ihrer Klient:innen ist Ada.
Ada heißt eigentlich anders. Sie wurde im Körper eines Jungen geboren, fühlt sich aber als Frau und möchte auch so leben. In ihrer irakischen Heimat gibt es in der Gesellschaft wenig Toleranz für Menschen, die trans oder queer sind. Auch Adas Eltern hatten für die Situation ihres Sohnes kein Verständnis. Unterstützung bekam sie von ihrer Tante, die ihr auch die Hälfte des Geldes für die Flucht nach Deutschland gab. Die andere Hälfte hatte sich die junge Transfrau selbst mit einem Job in einem Restaurant erarbeitet.
Im Sommer 2023 ist Ada in Deutschland eingereist. Nach Stationen in verschiedenen Erstaufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften lebt die heute 21-Jährige inzwischen in Augsburg. Bei der Asylverfahrensberatung (AVB) der Diakonie ist seit April Silke Vollhase ihre Ansprechpartnerin. Deren Kontaktdaten hatte Ada von einer Mitarbeiterin im Grandhotel bekommen. Dort hatte es kurz zuvor einen runden Tisch gegeben zur Frage, wie man Geflüchtete mit LGBTIQ-Hintergrund besser unterstützen kann: „Die Bedingungen in Schwaben sind leider schwierig“, so die Beraterin. Es gebe eine Unterversorgung an Beratungsstrukturen und sozialen Angeboten für queere Geflüchtete, schwierig gestalte sich häufig auch die Unterbringung in Unterkünften, die dem besonderen Schutzbedarf dieser vulnerablen Personengruppe gerecht werden könnten. Auch wenn es in Deutschland generell mehr Toleranz für diese Gruppe gebe und ihre Rechte gesetzlich verankert sind, erlebten queere Geflüchtete auch hier Diskriminierung. „Ich kann hier nicht bleiben.“ – „Ich muss hier raus.“ – „Ich will hier nicht mehr übernachten.“ Solche Mails erreichen Vollhase immer wieder aus Unterkünften. Dolmetscher Hakim Mansour*, der regelmäßig mit Silke Vollhase zusammenarbeitet, kennt solche Berichte ebenfalls. Auch Ada hat bereits entsprechende Erfahrungen gemacht. So versteckten z.B. Mitbewohner in einer Unterkunft ihre Kleidung nach dem Waschen. Dennoch ist sie froh, in Deutschland zu sein. In ihrer Heimat würden Menschen, die homosexuell oder trans sind, ermordet. Die Aufforderung zur Ausreise hatte ihr ein Nachbar überbracht, der für eine Miliz arbeitete.
Wie auch bei anderen Klient:innen der AVB liegt ein Schwerpunkt der Beratung auf der Vorbereitung auf die Anhörung beim BAMF. Eine Schwierigkeit queerer Geflüchteter ist, „dass man nicht einfach etwas ausdrucken kann, um zu beweisen, dass man trans oder homosexuell ist“, erklärt Silke Vollhase. Gegen politisch Verfolgte etwa liege oft ein Haftbefehl aus dem Herkunftsland vor, den diese schwarz auf weiß vorlegen könnten. Hinzu käme, dass viele ihre Geschichte zum ersten Mal erzählten: „Das haben sie sich ein Leben lang verkniffen, das ist schambehaftet.“ Daher sei es gut, bei der AVB einen Ort für einen „Probelauf“ zu haben. Ziel sei, queere Geflüchtete zu empowern, „sichtbar zu werden, Bedarfe zu artikulieren und sich auch gegenüber den Entscheider:innen vom BAMF so zu offenbaren, dass sich hieraus Bleibeperspektiven entwickeln können“. Adas zweite Anhörung war Mitte August, die Entscheidung über den Asylantrag steht noch aus.
Von der Kompetenz der Diakonie in der Beratung queerer Geflüchteter profitieren nicht nur die Klient:innen. Der Fachbereich Migration hat sich zum Ziel gesetzt, das Thema verstärkt auf die Agenda zu setzen, um die Situation für die Zielgruppe zu verbessern. Vor den Sommerferien organisierte Silke Vollhase eine Schulung, die vom Projekt „Fluchtgrund: queer – Queer Refugees Deutschland“ des Lesben- und Schwulenverbands in Deutschland (LSVD) durchgeführt wurde. Teilgenommen haben Berater:innen verschiedener Träger aus dem Migrationsbereich wie Rotes Kreuz, Caritas, Tür an Tür oder Refugio, die für das Thema sensibilisiert wurden und best-practice-Beispiele an die Hand bekamen. Laut Robert von Tür an Tür war es ein „sehr informativer, interaktiver und total kurzweiliger Fortbildungstag“: „Ich habe viel […] mitnehmen können, was mir in der täglichen Beratungsarbeit hilft.“
Zurück zu Ada: Bis zur Entscheidung über ihren Asylantrag lebt sie mit einer Aufenthaltsgestattung in Deutschland, die zunächst für sechs Monate gilt und bei Bedarf verlängert wird. Aktuell besucht die junge Frau einen Deutschkurs an der Volkshochschule. Ada würde gern mit einer Hormontherapie beginnen. Einen Antrag auf Übernahme der Kosten durch die Krankenkasse kann sie erst stellen, wenn ihrem Asylantrag stattgegeben wurde. Menschen mit Aufenthaltsgestattung erhalten eine vom Sozialamt finanzierte medizinische Grundversorgung, die geschlechtsangleichende Maßnahmen nicht beinhaltet. „Erst wenn die Zuständigkeit auf eine Krankenkasse übergeht, kann solch ein Prozess angestoßen werden“, erklärt Silke Vollhase. Das passiere in der Regel mit Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis oder nach 36 Monaten Aufenthalt in Deutschland.
Musste Ada ihre geschlechtliche Identität im Irak noch verbergen, kann sie sich in Deutschland offen dazu bekennen und hat hier Kontakte zu anderen Mitgliedern der Queer-Community geknüpft, mit denen sie am Wochenende manchmal in einen Club nach München fährt. Auch über ihre berufliche Perspektive in Deutschland hat sie sich bereits Gedanken gemacht: Sie möchte ihr Biologiestudium hier fortsetzen und abschließen. Ihre Zeugnisse aus dem Irak hat sie daher schon bei der zuständigen Anerkennungsstelle eingereicht.
Info: Weitere Infos zum Projekt „Fluchtgrund: queer – Queer Refugees Deutschland“ unter www.queer-refugees.de
Infos zur AVB unter https://diakonie-augsburg.de/de/rat-hilfe/migration-flucht/asylverfahrensberatung
*Name geändert